"Ich wünschte, ich wäre tot"

Viele Jugendliche denken über Suizid nach. Das ist normal. Problematisch wird es, wenn Todesfantasien zu einer fixen Idee werden.

„Am liebsten würde ich sterben.“ Dieser Satz steht in so mancher Mail, die Jugendliche an Young+Direct schreiben. Wenn Jugendliche Probleme haben oder es ihnen schlecht geht, dann reagieren sie unterschiedlich: die einen drehen ihre Stereoanlage auf volle Lautstärke, die anderen kehren der Welt mittels Smartphone den Rücken. Die einen schwingen sich aufs Rad und strampeln sich den Frust von der Seele, die anderen trösten sich mit Schokolade. Viele Jugendliche reden mit den Eltern oder mit Freund*innen und befreien sich so von ihrer Last.

Sehnsucht nach weniger Schmerz

Manchmal taucht in Krisensituationen auch der Gedanke an den Tod auf. Jugendliche stellen fest, dass sie ihr Leben in der eigenen Hand haben, und der Tod wird als eine von vielen Möglichkeiten gesehen, ein (vorübergehendes) Problem (endgültig) zu lösen. Sie malen sich in diesen Momenten aus, wie es wäre, wenn sie ihr Leben beenden würden, kommen dann aber wieder auf andere Gedanken.

Wenn Jugendliche sich wünschen, tot zu sein, dann bedeuten das vor allem, dass sie sich Erleichterung wünschen und sich nach weniger Schmerz sehnen, als sie gerade erleben. Selten bedeutet es, dass sie wirklich sterben und nie mehr etwas fühlen wollen. Wenn sie die Schmerzen durchgestanden haben und sich wieder besser fühlen, sehen sie das Leben erneut aus einer positiven Perspektive.
Es passiert aber auch, dass Jugendliche bei den Gedanken an Suizid ins Grübeln geraten und an solchen Fantasien hängen bleiben. Depressive oder besonders labile Jugendliche, die über längere Zeit das Gefühl haben, mit der Welt nicht mehr zurecht zu kommen, flüchten sich häufig in diese Gedanken und können sie nicht mehr abschalten. Wenn ihr Leidensdruck nicht erkannt und
ihnen nicht geholfen wird, wächst ihre Verzweiflung. Der Suizid wird für sie mehr und mehr zum scheinbar einzigen Ausweg. Die Phantasien werden immer realer, schließlich treffen sie konkrete Vorbereitungen und nehmen sich das Leben.

Ursache und Auslöser

Um diesen Prozess besser nachvollziehen zu können, ist es wichtig, zwischen Ursache und Auslöser zu unterscheiden. Der Auslöser ist fast nie die Ursache eines Suizids, sondern nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Bei den Ursachen spielen länger anhaltende Faktoren eine Rolle, zum Beispiel eine psychische Krankheit, ständig steigende gesellschaftliche Ansprüche, schwierige Familienverhältnisse, aber auch traumatische Erlebnisse in der Kindheit, zum Beispiel, wenn Kinder vernachlässigt oder ständig kritisiert werden, wenn zu hohe Leistungen von ihnen erwartet werden, wenn sie misshandelt werden oder Opfer von sexueller Gewalt sind. Auslöser für einen Suizid sind hingegen aktuelle Anlässe: wenn zum Beispiel ein Elternteil oder ein Geschwister stirbt, Eltern sich scheiden lassen, Jugendliche von Freund*innen getrennt werden oder eine Liebesbeziehung zerbricht, es Probleme in der Schule oder im Beruf gibt.

Warnsignale

Die innere Entwicklung, die einen Menschen dazu bringt sich selbst zu töten, ist von außen schwer zu erkennen. Trotzdem gibt es Zeichen, die auf eine Gefährdung hindeuten. Man sollte hellhörig werden, wenn jemand zum Beispiel plötzlich sein Verhalten ändert, plötzlich gleichgültig und lustlos ist, Kontakte abbricht, sich zurückzieht und isoliert.

Wenn jemand offen ausspricht, dass er sich umbringen will, so muss das ebenfalls ernst genommen werden. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Menschen, die über Suizid reden, sich nicht töten. 80 Prozent der Menschen, die sich umbringen, teilen ihre Absicht vorher jemandem mit. Bei Jugendlichen passiert es häufig, dass sie ihre Suizidabsichten einer Freundin oder einem Freund erzählen, allerdings mit dem Hinweis, es ja nicht weiterzusagen. In dieser Situation ist es wichtig, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und in jedem Fall Hilfe zu holen.

Ansprechen

Menschen, die Suizidabsichten äußern oder bei denen man solche vermutet, sollte man direkt darauf ansprechen. Viele glauben, das Beste wäre in so einer Situation, das Thema zu wechseln, um die Betroffenen abzulenken. Doch es ist wichtig, diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, über ihre Suizidgedanken und die zu Grunde liegenden Probleme zu reden und sie zu unterstützen, Hilfe zu holen. Das entlastet sie.

Die meisten Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, sind hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu leben und dem Wunsch zu sterben. So wenig es oft braucht, dass sie sich für den Tod entscheiden, so wenig braucht es oft, dass sie sich wieder dem Leben zuwenden.