Fragen zum Thema
Sucht - Essverhalten

Deine Freundin ist tatsächlich sehr untergewichtig und ich denke, deine Frage, ob du dir Sorgen machen musst, zeigt eigentlich, dass du dir bereits Sorgen um sie machst. Und das ist auch berechtigt.

Ich nehme an, dass du deiner Freundin wahrscheinlich gerne helfen möchtest. Das Schwierige ist in diesen Fällen immer, dass die Betroffenen meistens keine Krankheitseinsicht haben und also auch keine Hilfe wollen. Auch bei deiner Freundin ist es so, dass sie ihr Gewicht nicht als Problem sieht - zumindest im Moment.

Es mag sehr eigenartig klingen, doch die meisten jungen Frauen finden ihre Essstörung notwendig. Für sie ist es die (momentane) Lösung für ein Problem. Es hilft einem als Außenstehenden, wenn man die Ess-Störung aus dieser Perspektive sieht.
Wenn du bei deiner Freundin also wieder einmal per „Zufall“ das Thema ansprichst, dann könntest du sie fragen, was ihr ihre Essstörung alles gibt, was sie daran positiv erlebt. Diese Frage mag eigenartig klingen, doch sie vermittelt authentisches Interesse, außerdem läufst du mit dieser Frage nicht Gefahr, sie und ihr Verhalten unbewusst zu verurteilen (was in der Regel zu sofortiger Abwehr oder Rückzug führen würde). So kann sich daraus sogar ein interessantes Gespräch entwickeln.

Es wäre ideal, wenn deine Freundin auf diese Weise so viel Vertrauen zu dir gewinnt, dass sie es in einem zweiten Moment auch zulässt, über die negativen Seiten der Essstörung zu reden. Und dann hätte es einen Sinn, ihr zum Beispiel die Adresse einer Anlaufstelle zu geben.

Das, was du also tun kannst, ist, Interesse zu zeigen und deiner Freundin die Möglichkeit zu geben, mit dir zu reden. Das mag nicht viel erscheinen, doch es ist besser, als sie zu bemitleiden oder ihr zu sagen, was sie zu tun hat.
Was du allerdings nicht tun kannst, ist, die Verantwortung für ihr Verhalten oder ihre Genesung zu übernehmen, die liegt allein bei deiner Freundin. So wie jede*r von uns, ist auch sie für ihr Leben selbst verantwortlich.
Das Thema Essstörungen ist ein schwieriges und vielschichtiges Thema. Damit konfrontiert zu werden, ist für die meisten Menschen sehr verunsichernd, selbst Erwachsene tun sich oft schwer, damit umzugehen. So wie du die Situation schilderst, könnte deine Freundin wirklich gefährdet sein. Du schreibst, dass du ihr helfen möchtest. Ein erster hilfreicher Schritt wäre, wenn du dir Wissen über Essstörungen aneignest. Zum Beispiel kannst du unter den FAQ hier noch weitere Informationen zum Thema finden. Außerdem gibt es die Broschüre „Lollipop – Rund ums Essverhalten“, die bei Young+Direct erhältlich ist und in der viel Wissenswertes drinsteht. Wenn du informiert bist, fällt dir der Umgang mit der Essstörung deiner Freundin etwas leichter. Auch kannst du das Wissen im Falle sachlich an deine Freundin weitergeben.

Was du auf jeden Fall noch tun kannst, ist, deiner Freundin deine eigenen Gefühle offenzulegen. Sage ihr, dass dir aufgefallen ist, dass sie in letzter Zeit nur sehr wenig isst, sage ihr, dass du besorgt, aber gleichzeitig auch verunsichert bist. Frage sie, ob und wie du ihr helfen könntest. Schlage ihr eventuell vor, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Sollte sie deine Unterstützung nicht annehmen wollen, dann ist es wichtig, dass du ihre Entscheidung respektierst. Nicht so gut wäre, wenn du deiner Freundin mit massiven Appellen, Drohungen oder verzweifelten Bitten begegnen würdest. Da würde sie höchstwahrscheinlich ziemlich schnell „flüchten“ bzw. unzugänglich werden.
Es ist beachtlich, dass du beschlossen hast, dir Hilfe zu holen, denn viele Betroffene sehen oft jahrelang nicht ein, dass sie eine Krankheit haben und Hilfe bräuchten.

Bulimie ist eine Art von Essstörung, die sehr häufig vorkommt. Sie kann verschiedene Ursachen haben. Meist beginnt die Krankheit im Kopf. Die ständige Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führt zu Diätversuchen oder eingeschränktem Essen. Die Gedanken kreisen ständig ums Essen, der Körper wird mit seinen Bedürfnissen (Hunger) als bedrohlich gesehen. Das Wichtigste ist, Kontrolle über sich und über den eigenen Körper auszuüben. Bulimie ist eine schambesetzte und heimliche Essstörung, die Betroffenen tun alles, um ihre Essanfälle und das danach folgende Erbrechen oder Abführen zu verheimlichen.

Eine Essstörung kann Ausdruck von verdrängten Gefühlen und Bedürfnissen sein, eine Reaktion auf unbefriedigende Lebensverhältnisse, ein stummer Protest gegen erlittene Verletzungen oder erfahrene Ablehnung. Wenn man die eigentlichen Bedürfnisse nicht kennt, wenn man nicht weiß was tun, um die Situation zu verändern oder wenn man sich überfordert fühlt, dann ist es oft naheliegend, zu einer Ersatzlösung zu greifen. So wie Drogen-, Alkohol- oder Internetkonsum, kann auch Essen bzw. Nicht-Essen zum Ersatz werden. Zunächst bringt es Erleichterung, aber die hält nicht lange an. Die Ersatzlösung muss in immer kürzeren Zeitabständen eingesetzt werden und so entsteht eine Abhängigkeit.

Der Weg aus einer Esssucht ist daher nicht leicht, aber er ist zu schaffen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist die Krankheitseinsicht und die Bereitschaft, dich jemandem anzuvertrauen. Du hast also schon einen großen Schritt getan. Um wieder gesund zu werden, brauchst du die professionelle Hilfe von Psycholog*innen, Therapeut*innen oder Diätassistent*innen. Mit viel Erfahrung, Geduld und Einfühlungsvermögen bieten sie einen sicheren Rahmen, in dem du dein Selbstvertrauen und deine Stärken entwickeln kannst und so langsam wieder eine gesunde Einstellung und einen natürlichen Umgang mit dem Essen gewinnst.

In Südtirol gibt es die "Infes"- Fachstelle für Essstörungen, an die du dich wenden kannst. Sie bietet Beratungen, Gruppen und Prävention. Die Telefonnummer ist 0471/970039, die E-Mail-Adresse lautet: info@infes.it Oder hier der Link zur Website.

Du kannst dich auch gerne bei uns melden und vorbeikommen.